Der außerirdische Besucher – eine vegane Kurzgeschichte (Teil 1)

Heute starte ich mit einer kleinen Serie, weil diese Kurzgeschichte etwas länger geraten ist, um sie in einem Blog-Post zu veröffentlichen.

Der außerirdische Besucher – eine vegane Kurzgeschichte

von Kurt Beinwell

Montagabend! Besorgungen nach Feierabend machen wirklich keinen Spaß, allerdings musste ich noch kurz zum Discounter, der mittlerweile vernünftige, vegane Ersatzprodukte für Milch und Fleisch anbietet. Mir war am Wochenende die Sojamilch ausgegangen. Ja, ich weiß, es ist gar keine Milch, aber Sojasaft als Ersatz für Kaffeesahne – das trifft es irgendwie auch nicht so richtig. Ich war schon hinreichend genervt, denn die Dame vor mir musste ihren Einkauf für sechs Euro vierundachtzig unbedingt mit Karte zahlen, und ich wollte Heim.

Als ich in der Küche den Stoffbeutel auspackte, fiel mir auf, dass auf der Spüle ein benutzter Teebeutel lag. Ich hatte ganz gewiss an diesem Morgen keinen Tee getrunken. Jemand war hier gewesen! Tatsächlich fehlte im Regal eine Tasse. Vorsichtig schaute ich um die Ecke in den Flur, der den Blick bis ins Wohnzimmer erlaubte. Dort saß ein älterer Herr mit Halbglatze und faltigem Gesicht, eine modern aussehende, rechteckige Brille auf der Nase. Er trug ein blaues Hemd, darüber eine graue Strickjacke, sodass er aussah wie ein Finanzbeamter im Ruhestand. Genüsslich nippte er an seinem Heißgetränk, erkannte, dass ich ihn entdeckt hatte, und rief mir zu, ich solle mich doch zu ihm gesellen, er wolle etwas mit mir besprechen.

»Wer zum Kuckuck sind Sie? Und wie kommen Sie hier rein?«, fragte ich.

»Entschuldigen Sie, für den Fall, dass ich Sie erschreckt haben sollte. Ich war so frei, mir eine Tasse Tee aufzubrühen. Sagt man das so bei Ihnen? Aufbrühen?«

Zu perplex, um antworten zu können, stand ich weiterhin in der Diele, während der Fremde eine Art Tablet in die Hand nahm und darauf herumwischte.

»Ja, ich denke, aufbrühen ist korrekt. Der Tee schmeckt übrigens ausgezeichnet. Bitte setzen Sie sich doch zu mir. Sie müssen nicht in Ihrer eigenen Wohnung im Flur herumstehen.«

Ich fühlte eine merkwürdige Leichtigkeit im Kopf. Die Beine gaben nach, und nur ein beherzter Griff zur Garderobe verhinderte das schlimmste. Nachdem ich mich gefangen und realisiert hatte, dass es kein böser Traum war – der Garderobenständer besaß eine scharfe Kante, wie ich schmerzhaft feststellen musste –, nahm ich neben dem Fremden Platz.

»Ich bin unhöflich«, sagte er, »natürlich wäre es angemessen, mich Ihnen vorzustellen. Meinen richtigen Namen werden Sie kaum aussprechen können, nennen Sie mich Karl Kaminski, das kommt dem wohl am nächsten.«

»Und wie kommen Sie in diese Wohnung, Herr Kaminski?«

»Leider könnten Sie auch das nicht verstehen. Sagen wir mal, ich bin ein Besucher aus einer anderen Welt.« Er strich mit dem Finger auf seinem Tablet herum. »Ich glaube, Sie würden mich als einen Außerirdischen oder ein Alien bezeichnen.« Ich musste einen ziemlich geschockten Eindruck gemacht haben, denn er ergänzte sofort: »Ein freundlich gesinnter Außerirdischer. Ich will Ihnen nicht schaden!«

»Das freut mich außerordentlich – also, dass Sie keine bösen Absichten haben. Es erklärt aber nicht, was Sie gerade hier machen.«

»Man hat Sie ausgewählt …«, er stutzte und wischte noch einmal, »… ausgelost als Kandidat für eine Datenerhebung.«

»Datenerhebung?«

»Ja!« Erneutes Wischen »Sie würden es vielleicht Meinungsumfrage nennen. Auf jeden Fall kontaktieren wir stichprobenartig einzelne Exemplare …«, er konsultierte abermals sein Gerät, »… Entschuldigung – Personen nach dem Zufallsprinzip, die uns Einblick in das Leben hier auf der Erde geben können.«

»Okay?«, stammelte ich.

»Unsere Politik sieht vor, dass wir möglichst viel über die Einwohner in Erfahrung bringen, bevor wir einen offiziellen ersten Kontakt herstellen. Ich vermute, Sie verstehen das?«

Das war es also? Ein Alien hatte mich ausgesucht, um herauszufinden, wie wir Menschen leben? Was sollte ich nun tun? »Natürlich, kein Problem!«, erwiderte ich nur. »Was wollen Sie denn wissen?«