Erik hatte gerade den Schreibtisch erreicht und begonnen, auf seiner Tastatur zu tippen, da klingelte sein Smartphone. Ein Anrufer mit unterdrückter Rufnummer. »Baumann hier, was gibt es?«
»Sie kennen mich nicht, Herr Baumann, wir haben einen gemeinsamen Bekannten«, sagte eine unbekannte Stimme.
»Fassen Sie sich bitte kurz, ich bin in Eile! Wenn Sie etwas verkaufen wollen, dann beende ich das Gespräch«, gab Erik schroff zurück.
»Es geht um Ihren Bruder Heinz«, tönte es aus dem Lautsprecher.
»Was ist mit meinem Bruder? Geht es ihm gut?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab.«
»Was heißt das? Wer sind Sie überhaupt?«
»Sagen wir, ich bin derjenige, der entscheidet, ob Ihr Bruder die nächsten Stunden überlebt.«
»Was reden Sie da?« Erik spürte sein Herz wie wild schlagen.
»Dreißigtausend Euro in Bitcoin! Die Adresse schicke ich gleich. Sie haben drei Stunden.«
»Was soll das? Was für ein Spinner sind Sie eigentlich?«
Aber der Anrufer hatte schon aufgelegt. Nur Sekunden später folgte eine E-Mail mit der Forderung von 30.000 Euro umgerechnet in Bitcoin, zu senden an eine anonymisierte Adresse. Ein Foto im Anhang zeigte Heinz, der in einer Ecke irgendeines Hinterhofes kauerte, Gesicht und Kleidung blutverschmiert. Jetzt verstand Erik, dem es bei diesem Anblick kalt über den Rücken lief, was der Anrufer sagen wollte.
Drei Stunden! Die Forderung in Bitcoin zu verlangen, war in kriminellen Kreisen üblich, das hatte Erik erst letzte Woche gelesen. Diese virtuelle Währung zum anonymen Bezahlen konnte nicht zurückverfolgt werden. Keine Chance, dem Entführer oder Erpresser bei der Geldübergabe eine Falle zu stellen. Das war eindeutig ein Profi!
Sofort leitete Erik das Bild an seinen befreundeten Anwalt weiter und rief ihn an. »Irgend so ein Freak hat meinen Bruder entführt und erpresst Lösegeld. Ich weiß nicht, was ich machen soll!«
»Ganz ruhig, Erik, atme erst einmal tief durch!«, beruhigte der Anwalt. »Ich gebe das sofort an meinen besten Mitarbeiter weiter und rufe dich an, sobald ich etwas weiß.«
Erik fröstelte. Jetzt erst merkte er, dass er völlig nassgeschwitzt war und am ganzen Leib zitterte. Er erinnerte sich an die Zeit, als er das letzte Mal etwas mit Heinz unternommen hatte. Dieser naive, aber herzensgute Mensch, der jedermann für einen Freund hielt, und allen von seinem erfolgreichen Bruder erzählte, auf den er so stolz war. Das wiederum erinnerte Erik an den Trennungsschmerz, den er damals verspürt hatte, als Heinz zu seiner großen Reiseaufbrach, wie er es nannte. Einfach in der weiten Welt herumreisen, ohne Stress und Telefon, bis ihn vielleicht günstige Winde wieder nach Deutschland verschlugen.
Das Smartphone meldete sich wieder: »Tick-tack!«
Mit einem nervösen Blick auf seine Uhr wurde Erik schlagartig klar, wie spät es schon war. Sind wirklich schon fast drei Stunden vergangen? Mit zitternden Händen drückte er die Kurzwahltaste für die Nummer seines Anwalts. »Hast du etwas herausgefunden?«
»Leider nein. Dein Bruder lässt sich nicht aufspüren, und das Foto gibt nicht viel her. Es wäre wohl das Beste, wenn du den Erpresser bezahlst.«
Das Geld würde Erik nicht wehtun. Nicht, wenn er damit seinen Bruder retten könnte, also zahlte er. Nun ging die quälende Warterei für ihn weiter.
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis eine E-Mail von seinem Anwalt kam: Sieh mal, was wir gerade auf Facebook gefunden haben! Der beigefügte Link führte zu einem fast leeren Facebook-Profil von Heinz Baumann mit dem Text: Wieder zuhause! Habe mich wieder sesshaft gemacht. Meine neuen Freunde wollen mir einen Job in der Schlachterei besorgen. Verrückte Typen mit schrägen Spitznamen, haben mich erst reichlich mit Schweineblut beschmiert und dann ein Foto gemacht. Die nennen es Belastungstest. Scheinen aber sonst ganz in Ordnung zu sein. Einer mit dem Spitznamen Karl Knochenbrecher, der eine ganze Schweinehälfte alleine stemmen kann, hat sogar ein Facebook-Profil für mich eingerichtet. Ich freue mich schon auf morgen. Vielleicht bekomme ich ja auch so einen coolen Spitznamen.
Als Profilbild prangte dort das Foto, das Erik in den letzten Stunden so oft angestarrt hatte. Darunter ein blaues Daumen-Hoch Symbol: Karl Knochenbrecher gefällt das.
Gefällt mir! Der Twist mit dem Facebook Profil macht die Geschichte besonders.
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